Neues BGH-Urteil stärkt Verbraucherrechte bei Altverträgen
Viele Versicherte ärgern sich über Rürup-Renten oder Lebensversicherungen, die sich wirtschaftlich nicht lohnen.
Doch ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Juli 2025 (Az. IV ZR 161/23) verändert die Rechtslage grundlegend:
Selbst nach über 10 oder 12 Jahren Vertragslaufzeit kann ein Widerruf möglich sein – sofern die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war.
Die Richter entschieden: Versicherer dürfen einen späten Widerruf nicht mehr mit dem Argument „Rechtsmissbrauch“ abwehren, nur weil Kundinnen und Kunden den Vertrag lange genutzt oder steuerliche Vorteile erhalten haben.
Damit ist der Weg für viele Verbraucher frei, ihre Rürup-Rente rückabwickeln zu lassen und Beiträge zurückzufordern.
Der Fall: Eine Rürup-Rente mit fehlerhafter Belehrung
Im verhandelten Fall wollte eine Versicherungsnehmerin ihre Basisrentenversicherung (Rürup-Rente) rückabwickeln.
Der Vertrag wurde bereits 2009 abgeschlossen, die Klägerin hatte über Jahre hinweg Beiträge gezahlt, Zuzahlungen geleistet und sogar eine Vertragsumstellung akzeptiert.
Erst im Oktober 2021, also 12 Jahre später, erklärte sie den Widerruf – mit der Begründung, die Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft gewesen.
Die Versicherung verweigerte die Rückzahlung und berief sich auf den Einwand des Rechtsmissbrauchs: Nach so langer Nutzung des Vertrags könne der Widerruf nicht mehr wirksam sein.
Doch der BGH sah das anders.
Kern des Streits: Zwei gravierende Fehler in der Widerrufsbelehrung
Der BGH stellte fest, dass die von der Versicherung verwendete Widerrufsbelehrung doppelt fehlerhaft war:
- Falscher Gesetzesverweis auf E-Commerce-Regeln
Die Belehrung verwies auf Vorschriften des elektronischen Geschäftsverkehrs (§ 312e BGB i. V. m. Art. 246 § 3 EGBGB), obwohl der Vertrag nicht online, sondern per Briefpost abgeschlossen worden war. Für Verbraucher war dies irreführend und rechtlich unzutreffend.
- Bezug auf nicht in Kraft getretenes Gesetz
Zudem verwies die Belehrung auf „Artikel 246 § 3 EGBGB“, der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch gar nicht existierte. Damit war die Belehrung objektiv falsch – die gesetzliche Widerrufsfrist begann nie zu laufen, und das Widerrufsrecht blieb bestehen.
Der BGH stellte klar:
Eine fehlerhafte Belehrung kann nicht durch langjähriges Zahlungsverhalten oder Vertragsfortführung „geheilt“ werden.
BGH-Urteil: Kein Rechtsmissbrauch trotz langer Vertragsnutzung
Die Vorinstanz, das OLG Hamm, hatte die Klage mit Hinweis auf § 242 BGB („Treu und Glauben“) abgewiesen.
Die Begründung: Die Klägerin habe durch ihre aktive Nutzung des Vertrags, freiwillige Zuzahlungen und Steuervergünstigungen ihren Willen zum Fortbestand des Vertrags gezeigt – und könne sich daher nicht plötzlich auf ein Widerrufsrecht berufen.
Der BGH widersprach dieser Argumentation deutlich und hob das Urteil auf:
Ein Versicherer, der selbst eine fehlerhafte Belehrung verwendet, kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrags berufen.
Nur bei besonders gravierenden Einzelfällen könne ein Widerruf als rechtsmissbräuchlich gelten – etwa bei Täuschungsabsicht oder widersprüchlichem Verhalten des Kunden.
Im vorliegenden Fall lagen solche Umstände nicht vor.
Die Argumente des BGH im Überblick
- Freiwillige Zuzahlungen sind keine Bestätigung des Vertrags
Zahlungen im laufenden Vertragsverhältnis gehören zur normalen Vertragserfüllung. Der BGH betonte: Wer seine Beiträge zahlt, verzichtet damit nicht automatisch auf sein Widerrufsrecht.
- Vertragsanpassungen auf Druck des Versicherers sind irrelevant
Die Anpassung des Vertrags an neue Zertifizierungsbedingungen wurde von der Versicherung gefordert, um Steuervorteile zu erhalten. Wenn der Kunde zustimmt, um Nachteile zu vermeiden, kann dies nicht als stillschweigender Verzicht gewertet werden.
- Nutzung von Steuervorteilen kein Hinderungsgrund
Die Nutzung der steuerlichen Absetzbarkeit von Beiträgen gehört zum Vertragszweck einer Rürup-Rente. Dass Kunden diesen Vorteil in Anspruch nehmen, ist kein rechtsmissbräuchliches Verhalten.
Rückverweisung an das OLG Hamm: Wie geht es weiter?
Der BGH entschied nicht abschließend, sondern verwies den Fall an das Oberlandesgericht Hamm zurück.
Dort müssen die Richter nun prüfen, ob tatsächlich ein Fernabsatzvertrag vorliegt und wie die Rückabwicklung konkret zu erfolgen hat.
Punkt 1: Fernabsatz oder persönlicher Kontakt?
Wurde der Vertrag ausschließlich per Post abgeschlossen, greift das Fernabsatzrecht nach der EU-Richtlinie 2002/65/EG.
Dann gilt eine Umkehr der Beweislast: Die Versicherung muss nachweisen, dass ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat.
Punkt 2: Wie wird die Rückzahlung berechnet?
- Variante A: Wenn der Kunde dem „vorzeitigen Beginn des Versicherungsschutzes“ zugestimmt hat, darf der Versicherer einen Wertersatz für den Versicherungsschutz behalten.
- Variante B: Ohne Zustimmung gilt die gesetzliche Rücktrittsregelung (§ 346 BGB). Dann muss die Versicherung alle Beiträge nebst Zinsen vollständig zurückzahlen – ohne Abzug.
Bedeutung des Urteils: Neue Chancen für Versicherte
Dieses Urteil ist ein Meilenstein für Verbraucher, insbesondere für alle mit Altverträgen ab 2008, die sich finanziell nicht rechnen.
Der BGH hat den „Rechtsmissbrauch“-Einwand der Versicherer deutlich eingeschränkt.
Das bedeutet: Auch nach vielen Jahren besteht die Möglichkeit, Rürup-Renten oder Lebensversicherungen zu widerrufen, wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war.
Versicherungsnehmer können so Beiträge und Zinsen zurückfordern – teilweise fünfstellige Summen.
Checkliste: Sind Sie vom BGH-Urteil betroffen?
Prüfen Sie Ihre Vertragsunterlagen auf folgende Punkte:
- Vertragsschluss vor 2014 (häufig fehlerhafte Belehrungen)
- Belehrung verweist auf „§ 312e BGB“ oder „Artikel 246 § 3 EGBGB“
- Vertrag wurde per Post oder telefonisch abgeschlossen
- Belehrung wirkt wie aus einem Online-Vertrag übernommen
- Sie möchten Ihre Rürup-Rente oder Lebensversicherung rückabwickeln
Treffen diese Punkte zu, bestehen gute Chancen auf ein Widerrufsrecht – selbst nach über zehn Jahren.
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Unsere Leistungen im Überblick:
- Prüfung Ihrer Widerrufsbelehrung auf formale Fehler
- Durchsetzung des „ewigen Widerrufsrechts“
- Rückforderung gezahlter Beiträge und Zinsen
- Beratung zu steuerlichen Folgen des Widerrufs
- Vertretung gegenüber Versicherungen und Gerichten
Hinweis: Viele Rechtsschutzversicherungen übernehmen die Kosten einer Prüfung und rechtlichen Vertretung beim Vertragswiderruf.
Fazit: Rürup-Rente widerrufen – jetzt ist der Weg frei
Das Urteil des BGH vom 9. Juli 2025 (IV ZR 161/23) bedeutet:
Auch nach vielen Jahren kann eine Rürup-Rente oder Lebensversicherung widerrufen werden – wenn die Widerrufsbelehrung fehlerhaft war.
Für Verbraucher ist das eine enorme Chance, teure Altverträge rückabzuwickeln und sich von unrentablen Policen zu lösen.
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